Entgegen meiner vorherigen Planung startete ich doch früher. Am Tag zuvor ergab es sich kurzfristig, dass wir noch eine Karte für riotgrrrl bekommen konnten.
Als ich in Bern umsteigen musste, begegneten mir schon die ersten ästhetischen Missetäter.
Zürich, der Bahnhof ist ein einziger wulstiger Ameisenhaufen in dem man keine Orientierung findet. Sobald man in der unteren Etage ist, wird man von all den Reklamen, verwinkelten Gassen und endlosen Gängen in einen Schlund gezogen.
Als ich dann den richtigen von 7 Ausgängen fand (dank IPhone), musste ich zum Kaufhaus Jelmoli. Der Weg dorthin glich einem Catwalk der Sonderbaren.
Behaarte Männer in Miniröcken und BH, riesen Party vor dem Applestore, Reisegruppen, verwirrt umherschwirrende Inder, tanzende Thais und ein Kamerateam.
Im Kaufhaus selber wurde man erst mal von der Klimaanlage in die Mangel genommen. Überall, bis zu Unkenntlichkeit geschminkte Verkäuferinnen.
Der Kundendienst überreichte mir dann das Ticket.
Bis riotgrrrl ankam, machte ich mich noch kundig, wie wir zur Alten Börse kommen würden.
16:30h trafen wir uns an Gleis 18. Stracks begaben wir uns zu Mc Donalds. Die Luft war schwül, die Sonne erbarmungslos und die klassizistischen Fassaden der imposanten Innenstadt strahlten erbarmungslos die Hitze ab.
Die Strassenbahn war überfüllt, die Menschen klebten aneinander. Gegen 17:40h waren wir dann an der Alten Börse.
Eine Masse aus schwarz gekleideten Menschen mit irren Haarfarben presste sich auf den mittlerweile überfüllten Gehweg.
Wir liessen uns auf einem niedrigen Sims an der Fassade nieder. Unter uns bliess eine Lüftung kühle Luft entgegen. Wunderbar. Der Bürgersteig füllte sich. Jedes Mal wenn die Strassenbahn kam, schien es so als ob sie gleich ein paar der Wartenden überfahren würde. Der Müll schob sich über den Boden.
Die vielen Geschäftsleute, die Gäste der 5* Hotels um uns herum und die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde hielten teils sprachlos inne. Einige fragten diese schlecht gekleideten Menschen. Von ihren Lippen konnte man die Worte: “Dir en grey” und “Visual kei” ablesen.
Einige Japaner liefen Parade. Einige Mädchen kamen mit ihren asiatischen Freunden und knutschten mal mehr mal weniger demonstrativ mit ihnen herum.
Dann kamen sie! Zwei Mädchen, in weissen “Maleranzügen” (eine andere Beschreibung fällt mir dazu nicht ein) komplett mit Roter Farbe besprenkelt. Fürchterlich. Fürchterlich auch, waren die weinenden Herzen um ihre Augen herum.
Der Einlass sollte 19h beginnen, wir reihten uns brav ein. Ein japanischer Fotograf hüpfte umher. Fotografierte die Japanerinnen die zusammen mit einigen “Attention hore” posten.
Ich wich seiner Kamera aus. Der Einlass begann immer noch nicht. Mittlerweile wurden wir in die Masse gedrückt und von ihr nach vorn geschoben. Wir trafen auf Franzosen. Die mit Abstand schlimmsten Menschen unter all diesen scheinbar Gleichgeschalteten.
Sie schrien laut, wie geil sie die Band fanden. Die rissen Witze über die französischsprachigen Schweizer. Sie begannen inmitten des Gedrängel zu rauchen.
19:30h kamen wir endlich in die Börse. Die Treppe nach oben, bei der Garderobe gaben wir unser Sachen ab.
Eine bekannte Züricher Rockband spielte, ich kann mich nicht an den Namen erinnern (er wurde auch nicht genannt). Sie spielte schon länger, als wir ankamen, hatten wir gerade noch 2 Lieder vor uns.
Die Band war sichtlich enttäuscht davon, das sie vor gerade 50 Menschen spielen musste, da der Einlass einem einzigen Versagen glich. Mir tat es um die Band leid.
Sie bauten ab und gleichzeitig Dir en greys Bühnenarbeiter auf.
Auf Kaorus Seite reihten sich viele Gittaren aneinander, die Mikrofonständer wurden mit Plektren bestückt. Handtücher wurden verteilt, Wasserflaschen vor Shinyas Drums aufgebaut. Da wir im letzten Stockwerk waren und die Decke nur mit weissen Storen bestückt, welche die Fenster darüber verdeckten, war es Taghell.
20h. SA BIR erklang. Shinja und Kaoru kamen vom Seitengang hinter die Bühne. Dazwischen war eine Tür, offen. Die Mitglieder drehten dabei ihre Gesichter zur Wand. Toshiya und Die, zusammen nahmen sie ihre Posten ein. Ihre Köpfe gesenckt.
Kyo, mit der Hand vor dem Gesicht ignorierte das Blöcken des Publikums.
Nun betrat er die Bühne. Die machte diese “Muskelbewegung” und reckte seine Faust gen Himmel. Das war mit einer Ausnahme auch das letzte Mal das seine Mimik sich veränderte. Für das restliche Konzert hatte er einen gleichgültigen, abweisenden Gesichtsausdruck inne. In seinen Augen funkelte es, als er die ersten mit den Fotoapparaten erblickte.
Riotgrrrl und ich standen rechts vorn, fast Die gegenüber an einer der Boxen. Der Bass von SA BIR dröhnte durch mich, wälzte die stickige Luft. Kyo hatte einen traurigen Gesichtsausdruck. Er hob sein Mikrofon von seinem roten Podest auf, als hätte er vor sich ein Stück bittere Medizin. Er schaute noch immer auf den Boden. Er schlug das Kabel nach oben bis zum Interferenzkörper und dann sorgsam über seinen Handrücken. Das Mikrofon wie eine Mundharmonika haltend, begann er die ersten Strophen von INCONVENIENT IDEAL zu singen.
Er stieg auf das Podest und aktierte mit geschlossenen Augen. Die Menschen schrien, noch mehr Kameras. Die wich ein Stück zurück.
Erst mit VINUSHKA öffnete Kyo die Augen, sein Gesicht schien wütend. Mit den Zeigefinger schlug er symbolisch über die Köpfe des Publikums, er öffnete etwas seine Jeansjacke. Die Hitze war unerträglich. Die wurde immer wieder der Ventilator neu ausgerichtet. Kyo spuckte. Toshyia hüpfte wie King Louie über die Linke Seite der Bühne, mal näher an Kyo, dann wieder bei Kaoru. Demonstrativ forderte er das Publikum, hielt seinen Bass in die Höhe.
Shinya bearbeitete seine Drums routiniert.
Der Ton war miserabel, die Halle nicht für diese Akustik gemacht, wenn man Kyo mal hörte, schallte es. Sein Mikrofon fiel ständig aus, man merkte ihm aber nichts an. Er nahm es vielleicht gar nicht zur Kenntnis, er schien irgendwo anders zu sein.
OBSCURE wurde als nächstes gespielt. Kyo öffnete zum ersten mal bewusst den Blick und dieser glitt über das Publikum. Mal zog er die Mundwinkel nach oben, dann wand sich wieder sein Blick ab. Mittlerweile reckten sich vor mit 5 Digitalkameras in die Höhe, hinter mir bestimmt noch mal die gleich Anzahl. Infolge dessen, mied er nun die Linke Seite (links aus der der Position von Kyo heraus).
Ich hatte das Gefühl, er suchte etwas, fand es nicht und widmete sich nun ausschliesslich seinem Gesang.
Pause.
Shinyas Kopf fiel nach unten, hastig trank er etwas, dreht sich weg.
Die verschwand ganz. Kaoru und Toshyia tranken. Kyo kehrte uns den Rücken und streifte seine Jeansjacke ab.
Es wurde gekreischt, dieser französische Junge der am Eingang mitten in der Menge rauchte schrie wie ein Mädchen. Einige riefen Kyo “sexy” zu, die anderen riefen wahllos irgendwelche Namen. Die kehrte ohne jede Mimik an seinen Platz zurück, schaute kurz zu mir, dann zu einem Techniker, dieser justierte eilig den Ventilator neu.
Welche Lieder dann in welcher Reihenfolge gespielt wurden, vermag ich gerade nicht wiederzugeben. Sicher wurden aber:
Hydra 666
慟哭と去りぬ
STUCK MAN
蜷局
凱歌、沈黙が眠る頃
Agitated Screams of Maggots
..gespielt. (Es waren natürlich mehr.)
Bei Glass Skin hatte Kyo wieder den Gesichtsausdruck vom Beginn des Konzertes: traurig. Er stand auf seinem Podest, die Menge tobte und Quatschte, während er das Lied vortrug. Wieder fiel das Mikrofon aus.
Ich kann mich ehrlich nicht mehr an alle Titel erinnern. Der Bass, der Druck der aus dem Lautsprecher kam wurde für mich unerträglich, ich hatte Kopfschmerzen und meine Lichtempfindlichkeit machten mir zu schaffen.
Ich beschloss, mir in der Mitte von RED SOIL eine kurze Pause zu gönnen.
Vorher aber zählte Kyo noch im Publikum einige Menschen ab, zog eine imaginäre Linie mit seinem Zeigefinger von der Stirn ab, ahmte eine Pistole nach und zielte in eine bestimmte Richtung. Später wurde mir bewusst, er meinte den Franzosen.
riotgrrrl wurde schon lange von mir getrennt, wohl weil ich vor den vielen Kameras zurückwich. Ab den 5. Titel sah ich sie schon nicht mehr.
Ich kaufte mir ein Wasser und stellte mich nun hinter die tobende Masse. Die Halle war nicht mal zur Hälfte gefüllt. Vielleicht 200, nicht mehr als 250 Personen. Neben mir standen einige, mindestens 30 Jährige. Sie wippten im Takt, starrten gebannt auf Kyo oder amüsierten sich über die “Kinder”.
Links von mir lagen einige erschöpft auf den Sofas herum, ihre Hände tanzten zur Musik während sie den Kopf eher unbequem zur Bühne reckten. Ihnen gebar sichtlich die Hitze nichts Gutes. Die Luft brannte zeitweilen in meinen Augen.
Etwas abseits beschäftigte sich eines der Mädchen, welches ich beim Umsteigen in Bern sah, mit ein paar anderen Jungs, wie man denn möglichst spektakulär Head Bangt.
Kyo befand sich fast ausschließlich auf seinem Podest. Von hier Hinten konnte ich ihn gut sehen, der Ton war besser. Das Solo von Die bei Hydra 666 imponierte mir. Kyo reif ab und zu “Zürich”, seine Arme beschwörerisch über uns. Die Menschen schrien.
Vor mir Head Bangte ein Mann mit langem Haar. Jedoch, nach jedem Lied verbeugte er sich ehrfürchtig vor Kyo und faltete die Hände, fast wie zum Gebet. Sein Gesicht hatte einen glücklichen Ausdruck.
Die Band verliess die Bühne.
Rufe nach Zugaben. Erst laut, dann dürftig, gen Ende wieder ansteigend.
Die Band kehrte zurück, Shinya schaut noch immer nicht ins Publikum. Kaoru bezog seine Stelle näher an der Front. Später animierten er und Toshiya das Publikum. Kyo rief wieder “Zürich!”.
The Final. Eine Freude. Gen Ende hatte er einen zufrieden Gesichtsausdruck, fast schien es, als ob er lächelte.
朔 -saku-( falsch war:GRIEF). Wieder rief Kyo den Stadtnamen, mindestens zwei mal. Er tobte über die Bühne, spuckte sichtlich quer über die Bühne und einmal ins Publikum.
CLEVER SLEAZOID. Die trat nun, auch wie Kaoru und Toshiya, näher ans Publikum, er wurde mit Jubel begrüsst. Hände grabschten nach ihm und Kyo. Sein Gesicht wurde für einen kurzen Augenblick von diesem Ekelausdruck beherrscht, den man hat, wenn man etwas unangenehmes erwartet hat und sich jenes dann auch erfüllt.
Kyo verliess die Bühne mit einem erneuten: “Zürich”. Kaoru warf die Plektren, welche vorher säuberlich an seinem Mikrofonständer befestigt wurden in die Menge. Die tat es ihm gleich, wenn auch mechanischer. Einige Wasserflaschen flogen umher. Shinya verbeugte sich höflich, warf seine Sticks in die Menge und ohne abzuwarten wer sie denn fangen möge, verschwand er, fast gleichzeitig mit Die, von der Bühne.
Zuletzt war es nur noch Toshiya, er hatte sich sein Handtuch über den Kopf gelegt, faltete die Hände und verbeugte sich tief vor dem Publikum.